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Öffentlich finanziertes Bildungshandeln der Kirche

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Das Comenius-Institut ist eine Einrichtung der Gliedkirchen der EKD, der evangelischen Lehrer- und Schulverbände und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Bearbeitung von Aufgaben in den Bereichen Pädagogik und Theologie, Wissenschaft und Öffentlichkeit, Praxis und Politik, Kirche und Schule. In einem Gastbeitrag widmet sich Dr. Jens Dechow, seit 1.10.21 Leiter des Instituts, den Herausforderungen des öffentlich finanzierten Bildungshandelns der Kirche.

Es gibt Herausforderungen, vor denen Kirche immer wieder neu steht. Dazu zählt die Ressourcenfrage und verbunden damit die Ausrichtung kirchlichen Handelns.

Die Freiburger Studie1 hat den aktuellen Rahmen aufgezeigt, der Orientierung bietet und vorausschauendes kirchenleitendes Handeln ermöglicht. In diesem Rahmen wird sich auch protestantisches Bildungshandeln entwickeln. Ein spezifischer Bereich kirchlichen Bildungshandelns ist die Teilhabe an staatlich geförderter Bildung – Kita, Schule, offene Jugendarbeit, Erwachsenen- und Familienbildung. Dieses Feld kann unter folgender Perspektive gemeinsam betrachtet werden kann:

  • Es vollzieht sich als Teilhabe an öffentlich verantworteter Bildung,
  • in überwiegendem Maße refinanziert durch öffentliche Gelder,
  • unter Rahmenbedingungen, die staatlich gesetzt sind, also nicht bzw. nur zum Teil von Kirche geprägt werden können,
  • mit festen auch vertraglichen Bindungen und damit definierter Verantwortungsübernahme der Kirchen gegenüber der öffentlichen Hand.

Diese Verortung außerhalb der reinen Binnenlogik und Binnensteuerung von Kirche stellt kirchliche Eigenmittel, die in die Teilhabe an öffentlicher Bildung fließen, unter besonderen Legitimationsdruck.

Zugleich gibt es Gründe, von einer wachsenden Bedeutung der o. g. Bildungsbereiche auszugehen.

[1] Reichweite, Kontinuität und zeitlicher Umfang, in denen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kirchlich verantwortetes Bildungshandeln im öffentlich finanzierten Segment begegnet, ist in diesem Maße kaum in anderen kirchlichen Bildungsfelder zu generieren. So ist etwa für den Evangelischen Religionsunterricht festzuhalten: „Für viele Kinder und Jugendliche ist es der einzige Ort, an dem sie eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit religiösen und kirchlichen Themen realisieren.“ 2 Zugleich zeigt der Teilbericht zum Evangelischen Religionsunterricht der Evangelischen Bildungsberichterstattung, dass der Anteil der nicht-konfessionsgebundenen Schüler*innen zunimmt, sich die Zahl der Schüler*innen von der Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft also z. T. entkoppelt.3 Das dürfte auch für andere öffentlich finanzierte Bildungsorte zutreffen.

[2] Es werden Menschen und Milieus erreicht, die mit anderen Angeboten kirchlicher (Bildungs-)Arbeit nicht oder kaum in Berührung kommen. Exemplarisch sei hier die Offene Jugendarbeit benannt, deren Zielgruppe jenseits klassischer kirchlicher Milieus steht und die durch vertragliche Bindungen mit der öffentlichen Hand auch jenseits konfessioneller Verortung zu definieren ist.

[3] Teilhabe an öffentlich geförderter Bildung eröffnet die Chance, Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen zu können, etwa gegen ein einseitig ökonomisiertes Bildungsverständnis einzutreten und Persönlichkeitsbildung und umfassende Teilhabe in den Mittelpunkt zu stellen – mit einer Stimme, die im gesellschaftlichen Diskurs gehört werden muss, weil sie nicht von außen spricht, sondern Teil des Systems selbst ist.

[4] Teilhabe an öffentlicher Bildung zwingt Kirche dazu, Sprache und Theologie in eine beständige Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität zu bringen, um anschlussfähig zu bleiben – so wie es die bildungspolitische Stellungnahme der DEAE anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens 2011 für die EWB formuliert hat: „Evangelische Erwachsenenbildung öffnet die Kirche für öffentliche Bildungsdiskurse und ermöglicht ihr so, gesellschaftliche Mitverantwortung […] zu übernehmen.“4

Die so begründete Teilhabe von Kirche an staatlich finanziertem Bildungshandeln impliziert langfristige vertragliche Verpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand: Einhaltung von Qualitätsstandards, bindende Öffnungszeiten, Vorhalten kirchlicher Unterstützungssysteme, Gewährleistung von Vokationen und Zusatzqualifikationen, Übernahme langfristiger personeller Verpflichtungen u.v.m. All das kann nur dann gewährleistet sein, wenn der notwendige kirchliche Teil der finanziellen Verantwortung verlässlich getragen wird: die Trägeranteile für Kitas und Offene Jugendeinrichtungen, die nicht refinanzierten Personalkostenanteile der hauptamtlichen pädagogischen Mitarbeitenden der Erwachsenen- und Familienbildung, die Unterstützersysteme des Religionsunterrichts wie Schulreferate und pädagogische Institute, außerdem verbandliche Vertretungen wie die der Erwachsenenbildung, ohne die es z.B. gar nicht gelungen wäre, „dass sich die Evangelische Kirche […] in einer pluralen Trägerlandschaft als gleichberechtigter institutioneller Akteur einer öffentlich anerkannten Erwachsenenbildung behaupten konnte.“5

Eine Infragestellung oder ein tiefgreifender Rückbau dieses Systems ist damit keine rein innerkirchliche Angelegenheit, sondern wirft die grundsätzliche Frage auf nach der Fähigkeit und der Bereitschaft von Kirche, Teil des öffentlich finanzierten Bildungshandelns zu sein. Eine Frage, die umso stärker ins Gewicht fällt, je weniger selbstverständlich bei politischen Akteuren ein Verständnis von Strukturen und Debattenkultur von Kirche vorausgesetzt werden kann.

Auch der öffentlich finanzierte Bildungsbereich steht vor der Aufgabe, den Rückgang der kirchlichen Mittel zu kompensieren. Ansatzpunkte bieten hier Verhandlungen zur Höhe der Trägeranteile im Bereich Kita und offene Jugendarbeit, eine zunehmende Verschränkung der mittleren und oberen landeskirchlichen Ebene etwa in Bezug auf die Unterstützersysteme des Religionsunterrichts und die zunehmend enge, auch inhaltlich aufeinander abgestimmte Kooperation der ALPIKA-Institute.

Auf dem Hintergrund der o.g. inhaltlichen Erwägungen kann zugleich frühzeitig die Frage gestellt werden, ob nicht die Teilhabe an refinanzierter Bildung angesichts der damit verbundenen weitreichenden rechtlichen bzw. vertraglichen Bindungen die langfristige, nachhaltig steuerbare und im Rahmen von Prognosen abschätzbare Kirchensteuerfinanzierung anteilig in einem wachsenden Maße benötigen und beanspruchen wird.

Die Beschlüsse der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck von 2015, evangelische Kindertagesstätten und Einrichtungen der Familienbildung von allgemeinen Kürzungen auszunehmen und die pädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Familien zu stärken, weisen exemplarisch in diese Richtung.6

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1 Vgl. Gutmann, David; Peters, Fabian (2021): #projektion2060 – die Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer. Analysen – Chancen – Visionen. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener.

2 Kirchenamt der EKD (Hg.) (2014): Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. S. 36.

3 Gennerich, Carsten; Schreiner, Peter; Bücker, Nicola (2019): Evangelischer Religionsunterricht. Empirische Befunde und Perspektiven aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen. Münster: Waxmann (Evangelische Bildungsberichterstattung, Band 5). S. 62.

4 Menschenrecht Bildung: Evangelische Erwachsenenbildung in der Zivilgesellschaft. Bildungspolitische Stellungnahme der DEAE e.V. anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens. In: Jahrbuch Evangelische Erwachsenenbildung (JEEB) (2013). S. 371.

5 Bücker, Nicola; Seiverth, Andreas (2019): Evangelische Erwachsenenbildung. Empirische Befunde und Perspektiven. Hg. v. Comenius-Institut. Münster: Waxmann (Evangelische Bildungsberichterstattung, Band 3). S. 22.

6 Vgl. Bildungskammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Hg.) (2019): Verbindungen knüpfen – Bindungen stärken. Kirchliche Bildungsarbeit in Zeiten der zunehmenden Konfessionslosigkeit. S. 10

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