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Scharia – der missverstandene Gott? - Mouhanad Khorchide in der evangelischen Stadtkirche St. Reinoldi

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Sehr vielen Besucherinnen und Besuchern, die Mitte Juni in die Dortmunder Stadtkirche St. Reinoldi gekommen sind, sprach er aus der Seele. Das hat die Diskussion nach seinem Vortrag gezeigt. „Danke, Professor Khorchide, für den liebenden und barmherzigen Gott, den sie uns nahegebracht haben“, war zu hören.

Der unter den Muslimen sehr umstrittene Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide hat mit seinem Vortrag ein Bild vom Islam gezeichnet, dass die meisten derzeit kaum noch sehen.

„Wie können Sie erreichen, dass sich Ihre Position im Islam verbreitet“, sagte eine Frau fast schon im Ton der Verzweiflung. Tatsache sei, dass die Praxis des Islams anders aussehe, sagte eine andere. „Scharia – der missverstandene Gott?“ So war die Veranstaltung überschrieben.

Gleich zu Beginn räumte Khorchide mit dem Missverständnis auf, dass die Scharia ein vom Himmel gefallenes Gesetz sei. „Scharia ist ein menschliches Konstrukt, um im jeweiligen Kontext den Koran auszulegen“, klärte er auf. „Gott ist nicht sauer, weil ich heute mit der Bahn zu Ihnen nach Dortmund gekommen bin, obwohl nach dem Koran nur Esel, Pferd oder Maultier als Transportmittel zugelassen sind.“ Mit Beispielen wie diesen machte er deutlich, wie unsinnig es ist, vor langer Zeit entstandene Schriften heute wortwörtlich zu verstehen. „Als mein Sohn acht Jahre alt war“, erzählte Khorchide, „habe ich ihm eine Tafel Schokolade versprochen, wenn er sich gut auf die bevorstehende Prüfung in der Schule vorbereitet.“ „Nun stellen Sie sich vor, mein Sohn ist 24 Jahre alt und will eine gute Doktorarbeit schreiben, damit er anschließend eine Tafel Schokolade bekommt!“ Der Koran ist im 7. Jahrhundert entstanden. Aber die Kommunikation gehe weiter, erläuterte Khorchide, um mit der Frage fortzufahren: „Was will uns der Koran im 21. Jahrhundert sagen?“ Für deren Auslegung sei das Gottesbild entscheidend. Monologisch bezeichnet Khorchide eine Vorstellung von Gott, wonach Gott es darum gehe, verherrlicht zu werden. Gott habe Depressionen bekommen. Niemand erkenne ihn an. Er schaffe sich Menschen, um verehrt zu werden. Er bestrafe, wer ihm diesen Dienst nicht erweise. Die Folge davon ist eine buchstäbliche Auslegung des Korans. „Nein“, so Khorchide, „Gott ist dialogisch, es geht ihm um Beziehung, weil er in Sorge sei um die Menschen.“ So seien auch religiöse Rituale wie Fasten und Beten keine Pflichten, sondern Angebote, die helfen und guttun sollen.

Liebe und Barmherzigkeit wolle Gott mitteilen. Salafistische und fundamentalistische Strömungen begründet Khorchide damit, dass viele überfordert seien, sich durch eine Vielzahl von möglichen Antworten und Angeboten zu navigieren. Sie wollen klare Ansagen. Soziale Probleme spielten dabei eine Rolle. Khorchide: „Die Rahmenbedingungen müssen andere werden, damit Menschen sich nicht ausgegrenzt fühlen und dann fundamentalistische Positionen einnehmen.“

Einem derart modernen und aufgeklärten Islam widersprach ein junger Mann aus dem Publikum heftig: „Ich habe den Islam verlassen, er ist kein Frieden, der Islam ist vom Satan.“ „Wenn Sie den Islam als Kampfansage verstehen“, entgegnete Khorchide, hätte ich ihn auch verlassen.“ Es gebe im Koran zwar die Aufforderung zum Töten, es gebe aber auch die andere zur Versöhnung. Man könne dieses oder jenes Bild zelebrieren. Beides sei möglich: eine menschenfreundliche oder eine menschenfeindliche Auslegung. Sowohl Kritiker des Islams als auch islamistische Terroristen seien sich einig darin, den Koran menschenfeindlich auszulegen.

Zu dem Vortrags- und Diskussionsabend hatten die evangelische Stadtkirche St. Reinoldi, die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Evangelische Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe eingeladen. Der Referent, Mouhanad Khorchide ist am 6. September 1971 in Beirut geboren. Seit 2010 ist er Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für Religiöse Studien (CRS) an der Universität Münster. 
 
Autor: Ralf Porps